Davut Cöl ist Autor, Fußballfan und kennt sich im türkischen Fußball aus – nun hat er ein Buch geschrieben, das sich mit den Schwächen der türkischen Fußball-Nationalelf beschäftigt. 24 davon hat er auf 111 Seiten zusammengefasst. Wir haben mit ihm über das Werk gesprochen und herausgefunden, was der deutsche Fußball vom türkischen lernen kann.

Frech gefragt: Was qualifiziert Sie dazu, die türkische Fußballnationalmannschaft im Detail zu kritisieren?

Als Fan guckt man nicht nur Fußball, man fühlt, freut und leidet mit. Insbesondere im türkischen Fußball ist der Leidensaspekt besonders groß. Immer wieder kommt es zu Niederlagen, die so nicht sein müssen. Der Fan ist derjenige, der aus der Distanz, die Spielbewegungen analysieren kann. Er ist es, der frei von Druck der Medien die Entwicklung der Mannschaft verfolgt. Zudem kann er ein Urteil aus der Distanz fällen, was besonders im hitzigen türkischen Umfeld sehr sinnvoll ist. Es hilft natürlich ungemein, wenn der Fan selbst aktiv war. Ich habe selbst zehn Jahre Fußball gespielt. Damals noch auf dem steinigen, roten Hartplatz. Mein Buch ist daher ein aus dem Leben gegriffene praxisnahe Analyse per derzeitigen Probleme im türkischen Fußball Die Kritik an die Fußballnationalmannschaft soll ein Weckruf sein und eine Veränderung zum positiven initiieren. Offenbar ist der türkische Fußball nicht in der Lage, sein Spiegelbild zu erkennen und daher muss der Druck von den Fans kommen.

Was gab den Ausschlag, dieses Buch zu schreiben?

Die verkorkste Qualifikationsrunde zur Weltmeisterschaft in Brasilien war der Moment an dem der Geduldsfaden gerissen ist. Immer wieder das Gleiche, war mein Empfinden in diesem Moment. Ich kann mich noch klar daran erinnern. Vor der Qualifikationsrunde schwur man sich wieder einmal ein und die Mannschaft sprach den Fans Mut zu. Diesmal sollte es anders werden, war die Nachricht, die in den Medien verbreitet wurde. Immer das gleiche, muss ich sagen. Dann begannen die Qualifikationsspiele und die Mannschaft wiederholt ihre Fehler, immer und immer wieder. Letztendlich scheiterte die türkische Elf dann erneut in der Qualifikation zur WM 2014. Diese chronischen Schwächen mussten endlich aufgeschrieben werden.

Welche Reaktionen gab es bisher vom türkischen Verband?

Leider keine. Jegliche Anfrage an den Verband wurde nicht einmal beantwortet. Dabei ist das Thema wichtiger denn je. In dieser Hinsicht könnte man meinen, der türkische Fußballverband verschließe die Augen vor der Realität. Es ist ein kulturelles Problem in der Türkei, dass man mit den eigenen Schwächen nichts zu tun haben will. Gleichzeitig neigt man bei Erfolgen schnell zur Übertreibung. Bei den Spielern das gleiche Bild. In der Regel kann man Profis nämlich kaum kontaktieren. Der Versuch in Dortmund an Nuri Sahin zu kommen ist gescheitert. Ebenso Hakan Calhanoglu und Ömer Toprak Sie sind abgeschirmt von ihren Vereinen und von Agenturen. Ein Durchkommen war daher unmöglich. Zudem habe ich auch versucht Christof Daum, der viele Jahre in der Türkei trainiert hat, zu kontaktieren. Leider kam kein Kontakt zu Stande. Auch hier könnte eine laute Diskussion der Fans für entsprechende Aufmerksamkeit sorgen. Die Fans müssen eine Auseinandersetzung mit den eigenen Schwächen fordern, die Spieler werden sich eine Form der Unfähigkeit nicht auf die Fahnen schreiben.

Wie wurden ihre Vorschläge in den, wie sie sagen, mächtigen türkischen Medien diskutiert?

Hier muss man klar sagen, leider gar nicht. Ich hätte es mir gewünscht, dass die türkischen Medien den Ball aufnehmen und das Thema Schwächen im türkischen Fußball beleuchten. Sie sprechen ja den ganzen Tag über nichts anderes als Fußball. Nun, die Medien sind ein Teil des Problems, weil sie eine langfristige Entwicklung im türkischen Fußball verhindern. Ich habe Kolumnisten, Zeitungen, Radio- und Fernsehsender angeschrieben. Es gab keine Reaktion. Die mächtigen Medien profitieren von dem Durcheinander im türkischen Fußball. Man stelle sich vor, alles liefe in geordneten Bahnen und der Erfolg wäre vorhanden. All die Experten hätten nichts mehr zu schimpfen und nichts mehr um die Fans anstacheln. Heute sind es besonders die Medien die Unruhe in die Vereine bringen und Trainerstühle ansägen. Wirkliche Analysearbeit ist daher nicht zu erwarten. Erst wenn eine öffentliche Diskussion um die Schwächen des türkischen Fußballs entbrannt ist, werden sie sich dem Thema annehmen, vorher nicht.

Wie haben Sie sich über die Spielweise informiert?

Die Spiele der türkischen Mannschaft verfolge ich schon sehr lange im Fernsehen. Schon in meiner Zeit als Schüler und Jugendfußballer wurden die Daumen gedrückt. Während damals die türkische Elf um Klassen schwächer als der Gegner war, ist die Qualität der jetzigen Spieler besser, jedoch dauern die Niederlagen an. Das muss doch einen Grund haben, was ich versucht habe zu analysieren. Deutlich zeigt sich eine Planlosigkeit im Spiel der türkischen Mannschaft. Man weiß einfach nicht wohin mit dem Ball. Das zeigt sich in einer Vielzahl an Querpässen, die keinen Raumgewinn bringen. Die Spielweise der türkischen Elf ähnelt oftmals einem Bezirksligaspiel. Man kickt den Ball umher und hofft, dass der Ball irgendwie im Tor landet. Ohne ein Konzept wird es die Türkei auch in der Zukunft schwer haben.

Zu letzt spielte die Türkei in der EM-Qualifikation 1:1 gegen Lettland und siegte 3:0 gegen die Niederlande. Fühlen Sie sich dadurch in ihren Annahmen bestätigt?

Den Erfolg gegen die Niederlande muss man ins rechte Licht setzen. Die Oranjemannschaft hat sich sehr schwach präsentiert und es den Türken dadurch leicht gemacht. Somit bewerte ich die Qualität des Spiels, aus Sicht des Fußballs, als mittelmäßig. Das Ergebnis spricht für die Türkei und die Euphorie war in Folge groß, aber spielerisch haben sie nicht überzeugt. Die Leistung gegen Lettland war ebenfalls schwach. Man hatte unzählige Torchancen und hat nur ein einziges Tor erzielen können, wie ich es bei der 15. Schwäche beschreibe. Das ist viel zu wenig und wurde, wie wir wissen bestraft. Die Türkei ist noch nicht soweit, dass sie eine konstante Leistung liefern kann.

Fatih Terim ist bereits zum dritten Mal Nationaltrainer der Türkei. Ist er eher der Bremsklotz oder sehen Sie mit ihm einen Aufwärtstrend? Und wie beurteilen sie seine dreimalige Amtszeit?

Fatih Termin hat einen sieben Jahresvertrag unterschrieben. Er soll es richten und der Nationalmannschaft eine neue Richtung geben. Er soll eine neue Mannschaft aufbauen. Dabei ist er es gewesen, der Änderungen nicht rechtzeitig angegangen ist. Er ist auch nicht der Trainer, der die besten Leistungen mit der Nationalmannschaft erzielt hat. Fälschlicherweise ist genau diese Aura in den Medien präsent. Fatih Terim war Trainer als die Türkei bei der EM 2008 ins Halbfinale kam. Viele der Spiele wurde in allerletzter Minute gewonnen. Die Mannschaft war also auch damals nicht in der Lage dauerhaft gute Leistung innerhalb der 90 Minuten zu erbringen, sondern siegte eben glücklich. Eine wirklich gute Mannschaft hatte Senol Günes geformt. Er war der Trainer der Mannschaft, die in der WM Endrunde 2002 den dritten Platz belegt hat. Diese Team hat wirklich tollen Fußball gespielt. Die Mannschaft war harmonisch ausgeglichen und gut eingestellt. Die Leistungen sprachen für sich, der Fußball war gut. Leider wird nicht Senol Günes diese Ehre zu teil, sondern Fatih Terim und das ist in meinen Augen falsch. Fatih Termin, auch Imperator genannt, ist eine starke Persönlichkeit, die keine Widerrede duldet. Er herrscht totalitär. Es gibt nicht wenige Menschen in der Türkei, die glauben, dass die türkische Fußballermentalität nur durch solch einen Mann gebändigt werden kann. Freundliche Trainer kommen in der Türkei nicht weit.

Wie reagieren die Personen in ihrem Umfeld auf ihr Buch?

Die Reaktionen auf das Buch sind ausnahmslos positiv. Man bekommt das Gefühl, dass ein Buch die Gefühle der Fans, aus dem Herzen heraus, beschreibt. Denn die genannten Schwächen sind in jedem Spiel zu finden und die Art und Weise wie Spieler und Medien sich verhalten ebenso. Die Leser fühlen sich erleichtert, dass sich jemand sich dieser wichtigen Sache angenommen hat. Am Ende wollen alle das gleiche: nämlich eine bessere türkische Mannschaft. Sogar weibliche Leser sind begeistert, was mich sehr freut. Sie sagen, dass sie nun mehr von dem Fußballspiel verstehen weil ihnen das Buch dabei geholfen hat. Die Zusammenhänge würden in einfacher Sprache erklärt.

Gibt es noch mehr Schwächen, die nicht im Buch aufgeführt wurden?

24 Schwächen sollten zunächst genug sein. Es hätten durchaus 40 oder auch 60 Schwächen sein können. Man braucht im türkischen Team nicht lange genug zu suchen, um welche zu finden. Die Kernschwäche ist, dass der Mannschaft der Glaube an die eigenen Fähigkeiten abhanden gekommen ist. Sie hat Angst und damit lässt sich schlecht gewinnen. Man ist dem Druck und der Erwartungshaltung der Fans und den Medien ausgeliefert und das lässt die Beine schwer werden.

Was sind die Stärken der Nationalelf?

In der Türkei ist die Heißblütigkeit der Menschen etwas angeborenes. Entweder man hat es in sich oder nicht. Das lässt sich nicht erlernen. Sie gibt den Spielern zusätzliche Kraft und lässt Dinge mit Begeisterung angehen. Diese Begeisterung ist eine super Grundlage, wenn man sie als Stärke verwenden könnte. Das wäre ein Vorteil, den die andere nicht kopieren können. Leider klappt das bisher nicht. Den türkischen Spielern steigt die Heißblütigkeit zu Kopf und entwickelt dadurch eine nachteilige Wirkung.

Wie in wie fern ist Schwäche 12 bei Standards mit einem Spieler wie Hakan Çalhanoglu noch eine Schwäche?

Hakan Calhanoglu ist ein guter Spieler und ein hervorragender Schütze, der Freistöße und Eckbälle treten kann. Er wird dem türkischen Fußball zu einer Besserung verhelfen können. Es kann jedoch nicht sein, dass nur ein Spieler gute Ecken treten kann. Das allgemeine Niveau muss höher sein. Zudem muss ein Standardschütze auch die Gelegenheit bekommen seine Fähigkeiten zu beweisen. Das heißt,wenn die türkische Elf kaum in die Nähe des Strafraumes kommt, z.B. weil zu defensiv oder ängstlich, dann wird es auch kaum Standardsituation geben, bei denen Calhanoglu treffen kann.

Was kann die deutsche Fußballnationalmannschaft von der türkischen lernen?

Das ist eine schöne Frage, denn bei den meisten Interviews wird diese Frage anders herum gestellt. Dann heißt es, was kann die türkische Elf von der deutschen Mannschaft lernen. Nun, die deutsche Mannschaft braucht nichts zu lernen, denn ihre Leistung ist konstant und die Ergebnisse sprechen für sich. Zudem funktioniert der Wandel von alten zu jungen Spielern, dass ist eine wunderbare Eigenschaft. Man traut sich am Zenit, neue Spieler einzubinden. In vielen anderen Nationen wartet man, bis es zu spät ist. Zudem ist man ein Team und alle halten füreinander. Andere Nationen müssen von der Deutschen lernen. Die türkische Elf muss keinesfalls Fehler machen, um aus ihnen zu lernen. Es wäre klug, aus den Fehlern und Errungenschaften der anderen zu lernen.

Weitere Infos zum Buch und den Online-Shop gibt es unter: nicht-gut-genug-buch.de.

Interview: Stefan Himmer