Pünktlich zur Europameisterschaft in Frankreich hatte die „International Football Association Board“ 95 Veränderungen im Regelwerk des Fußballs vorgenommen. In den Medien war davon wenig zu hören. Elementar beeinflussen werden die Änderungen das Spiel nämlich nur in speziellen Situationen. Für die Schiedsrichter aller Klassen bedeuten die neuen Regeln nichtsdestotrotz einen hohen Lernaufwand.

Neue Regeln – Lernstress für die Schiedsrichter

Unmittelbar vor dem Beginn der Europameisterschaft hat die „International Football Association Board“ eine 95 Punkte umfassende Änderung des Regelwerkes beschlossen. Seit Anfang Juli diesen Jahres gilt ein Großteil der Regeln auch im Amateurbereich des Fußballs. Ob die neuen Regeln sich auch in der Praxis bewähren, bleibe zunächst abzuwarten. Die kommende Saison werde dazu sicher die ersten Antworten liefern können, schätzt der Experte Martin Brahm von OpenOdds die Situation ein. Bereits bei der EM konnten die ersten Regeländerungen diskutiert werden – wenn auch eher am Rande des Geschehens.

Bei den Schiedsrichtern, speziell im Amateurbereich, kommen die Veränderungen des Regelkataloges nur bedingt gut an. Torsten Perschke, Vorsitzender des Kreisschiedsrichterausschusses in Nordrhein-Westfalen, betrachtet die Neuerungen äußerst kritisch. Die Klarheit bei der Regelauslegung fehle an vielen Stellen und Situationen im Spiel. Zudem würden so viele neue Regelungen Schulungen verlangen. Doch obwohl zum Beispiel Kreispokal-Wettbewerbe bereits laufen, agieren viele Teams, Verantwortliche und auch Schiedsrichter noch unaufgeklärt auf dem Spielfeld.
Von insgesamt 250 Schiedsrichtern des Kreises sind bisher erst rund 100 nach dem neuen Regelwerk geschult worden. Seinen Unmut äußerte Perschke auch über die Terminierung: „Die Schulungen der Schiedsrichter finden monatlich statt. Ausgerechnet im Juli aber sind sie ferienbedingt ausgefallen.“ Deshalb begrüßte er die zwei außerplanmäßigen Lerneinheiten, an denen Freiwillige und Schiedsrichter, die für die Leitung der Kreispokalpartien vorgesehen waren, teilnahmen. Schließlich würden, laut dem Ausschuss-Vorsitzenden, im Kreispokal nur die Schiedsrichter eingesetzt werden, die an einer Schulung bereits teilgenommen haben.
Die 90-minütigen Schulungen liefen im Stile des Frontalunterrichts an Schulen. Die zahlreichen Regeländerungen wurden mit Hilfe von Videos situationsbedingt erklärt und verdeutlicht. Trotzdem blieb beim Vorsitzenden die kritische Haltung bestehen: „Ich habe meine Zweifel, ob die Änderungen zur Vereinfachung beitragen.“ Positiv hingegen war das Interesse an den Änderungen zu bewerten: „Es sind sehr lebhafte und wortreiche Diskussionen entstanden.“

Diskutierbare Auslegungen der neuen Regeln

Viele der Regelveränderungen und -neuheiten haben einen marginalen Einfluss auf das eigentliche Spielgeschehen. So darf ab sofort beim Anstoß der Ball direkt nach hinten gepasst und muss nicht mehr nach vorne in die gegnerische Hälfte angestoßen werden. Zu sehen war diese Veränderung schon bei der Europameisterschaft in Frankreich. In den meisten Spielen wurde der Anstoß nur noch von einem Spieler ausgeführt. Von etwas größerer Bedeutung könnte sich indes eine andere Regeländerung herausstellen.

Diese legt fest, dass behandelte Spieler nach einem Foul, das mindestens mit der Gelben Karte geahndet wurde, den Platz nicht verlassen müssen. Diese Regel greift jedoch nur, wenn die Behandlung weniger als 20 Sekunden andauerte. Die dadurch nun nicht mehr zwangsläufige Unterzahl, von der ja das foulspielende Team bisher profitierte, kann schon deutlichere Auswirkungen auf das Spielgeschehen haben.

„Für die Schiedsrichter sind einige Änderungen gravierend. Großen Einfluss auf das Spiel werden sie aber nicht haben“, meint Torsten Perschke. „Ich habe im neuen Regelwerk bislang noch keine Stelle gefunden, bei der ich sagen würde, dass die Änderung überfällig oder sinnvoll ist.“ Doch die eine oder andere Änderung könnte zum Problemfall werden und neue Diskussionen heraufbeschwören. Im äußersten Falle könnte sogar eine Spielwiederholung in Betracht gezogen werden, wenn die Unklarheiten zu gravierend sind.
Beispiel hierfür wäre die regelkonforme Ausführung eines Elfmeters. Nach den neuen Regeln darf der Schütze die Bewegung beim Anlauf nicht mehr vollständig abstoppen, wie es in den letzten Jahren bei den Spielern immer beliebter geworden ist. Anderenfalls wird der Schütze mit einer Gelben Karte verwarnt und die verteidigende Mannschaft erhält einen indirekten Freistoß. „Wenn der Schiedsrichter hier falsch entscheidet, ist das ein Störfall, der im äußersten Fall zu einer Spielwiederholung führen kann“, erklärt der ehemalige Zweitliga-Assistent Perschke die Problematik. Allerdings gestalten sich nicht alle Regelveränderungen so schwierig.

Die wichtigsten Regeländerungen im Überblick

Nicht alle 95 Regelinnovationen und -modifikationen sind auf Anhieb im Spielverlauf zu sehen oder nehmen elementaren Einfluss auf das Spielgeschehen. Es gibt allerdings auch Veränderungen, die entscheidende Auswirkungen haben können. Wir stellen die wichtigsten Veränderungen vor:


  • Anstoß nach hinten
Eine der auffälligsten Regeln ist, dass der Ball beim Anstoß nicht mehr nach vorne gespielt werden muss, sondern gleich nach hinten gepasst werden darf. 

  • Rote Karten

Eine Rote Karte nach Spielende zu vergeben ist den Schiedsrichtern bereits gestattet. Mit der Regeländerung darf das nun auch schon vor Spielbeginn geschehen. Die betroffene Mannschaft muss den verwiesenen Spieler durch einen Auswechselspieler ersetzen.

  • Behandlungspause

Durch ein Foul verletzte Spieler, die auf dem Platz behandelt wurden, müssen ab sofort den Platz nicht mehr verlassen, wenn zum einen der Gegenspieler, der das Foul beging, eine Gelbe oder Rote Karte als Strafe erhalten hat, und zum anderen, wenn die Behandlungspause nicht länger als 20 Sekunden andauerte.

  • Verhinderung eines Tores

Wird ein Tor von einem Offiziellen des Teams wie dem Mannschaftsarzt oder Trainer verhindert, so gibt es anstatt eines Schiedsrichterballs ab sofort einen Strafstoß für das benachteiligte Team.

  • Angriffsmauer

Die angreifende Mannschaft darf zukünftig bei direkten Freistößen keine Sichtschutzmauer bis kurz vor Ausführung des Freistoßes mehr stellen. Der Torwart muss lange genug freie Sicht auf den liegenden Ball haben.

  • Dreifachbestrafung

Eine der am häufigsten diskutierten Regeln in der letzten Saison war die Dreifachbestrafung beim Verhindern einer klaren Torchance im Strafraum. Elfmeter, eine Rote Karte und eine Sperre waren die Folge. In Zukunft ist die Rote Karte keine zwingende Folge mehr für die Schiedsrichter, wenn die Attacke dem Ball galt und nicht unter die Kategorien „Grobes Foulspiel“ oder „Tätlichkeit“ fällt.

  • Schuh verloren

Bei dem Verlust eines Schuhs darf der betroffene Spieler bis zur nächsten Spielunterbrechung weiterspielen und auch ein Tor schießen. Das war bisher untersagt.

  • Elfmeter

Die Problematik des zu langsamen Verzögerns beim Anlauf zum Elfmeter wird in Zukunft härter bewertet. Verzögerungen sind zwar grundsätzlich noch erlaubt, jedoch darf nicht mehr komplett abgestoppt werden, ansonsten erfolgt ein indirekter Freistoß für den Gegner und der Schütze erhält die Gelbe Karte.

  • Spielkleidung

Tapeverbände, Socken oder Unterwäsche, die nach außen hin sichtbar ist, müssen ab sofort die gleiche Farbe wie die Fußballhose beziehungsweise die Stutzen aufweisen. (red)