Ulrich Ernst Borowka oder kurz „die Axt“ hat eine wilde und teilweise auch traurige Fußballkarriere hinter sich. Der heute trockene Alkoholiker durchlebte zahlreiche Eskapaden und wäre fast komplett abgestürzt. Im Interview mit 11ER-Redakteur Stefan Himmer spricht er über sein Buch, seinen Verein für Suchtprävention und die Lesung am 10. September im Trierer Exhaus.
11ER: Uli, schön, dass du die Zeit gefunden hast. Du gibst in letzter Zeit vermehrt Interviews und wirst immer wieder mit deiner Vergangenheit konfrontiert. Wie fühlt sich das an?
Uli Borowka: Das gehört nach wie vor dazu und ist kein Problem. Ich stand früher schon im Fokus der Öffentlichkeit und heute auch. Deswegen ist das auch gut so, denn wir wollen ja auch etwas bewegen. Und das haben wir seit Oktober 2012 geschafft. Das ist eine ganz schöne Sache.
11ER: Du spielst sicherlich auf dein Buch und deinen von dir gegründeten Verein an.
Uli Borowka: Das Buch war der erste Schritt und dass wir den Verein gegründet haben ist natürlich das Produkt daraus, um vielen Leuten – auch Sportlern – einen Anlaufpunkt zu geben. Dass es aber so dermaßen ausartet, damit haben wir selbst nicht gerechnet.
11ER: Was meinst du mit ausartet?
Uli Borowka: Der Zuspruch ist riesig. Aber das ist gut so und wir nehmen das an. Wir werden Hilfe leisten, wo wir können.
11ER: Stell unseren Lesern doch mal kurz deinen Verein Suchthilfe und Suchtprävention e. V. vor.
Uli Borowka: Wir kümmern uns um Kinder aus suchtkranken Familien, damit die wieder am normalen Leben teilhaben können. Deren Eltern kümmern sich meistens gar nicht mehr um die eigenen Kinder und diese Kids haben dann keine Chance mehr an irgendeinem Sport teilzunehmen. Da versuchen wir einzugreifen und Hilfestellungen zu geben. Darüber hinaus leiste ich sehr viel Präventionsarbeit, bin in Jugendvollzugsanstalten und Fanprojekten in ganz Deutschland tätig. Und auch in Schulen oder Vereinen. Natürlich ist es auch klar, dass wir uns um suchtkranke Sportler kümmern.
11ER: Wie viele suchtkranke Sportler gibt es schätzungsweise?
Uli Borowka: Die FIFpro, das ist die internationale Spielerorganisation, hat vor einigen Monaten eine Umfrage erstellt. Daraus resultiert, dass aktuell 19 Prozent der Sportler suchtkrank sind und 36 Prozent der ehemaligen. Das ist natürlich eine Hausnummer, die uns alle, auf gut deutsch gesagt, erdrückt. Ich wäre ganz ehrlich froh, wenn wir weniger zu tun hätten, aber dem ist nicht so. Also packen wir die Probleme an. Die Spieler mit Problemen melden sich bei mir. Wenn sie es im Verein oder innerhalb ihrer Mannschaft öffentlich machen, wird der Vertrag zerrissen. Da versuchen wir einzugreifen und ein bisschen was anzuschieben.
11ER: Wie sieht deine alltägliche Arbeit im Verein aus?
Uli Borowka: (lacht) Es ist viel zu tun! Zum Beispiel sind es alles in erster Linie Menschen – auch Profifußballer, denen wir helfen. Die hole ich dann auch mal aus der Gosse, wie das bei mir damals war und versuche ihnen eine Hilfestellung zu geben. Ich maße mir nicht an, dass ich der Fachmann bin, sondern ich versuche, sie in professionelle Hilfe abzugeben. Der eine ändert beim ersten Mal etwas, der andere braucht etwas länger. Das ist natürlich ein enormer zeitlicher Aufwand, den wir aber gerne betreiben, weil wir Menschenleben retten. Das muss man ehrlich so sagen.
11ER: Du bist für die Spieler dann eine Art Vermittlungspartner?
Uli Borowka: In erster Linie wissen sie, dass ich den ganzen Mist durchgemacht habe und weiß, wovon ich rede, das ist mein großer Vorteil. Und in zweiter Linie steht natürlich die Angst vor dem Karriereende, wenn die Krankheit öffentlich wird. Wir reden ja nicht nur von Alkohol. Wir reden von Drogen und Medikamenten – und was noch viel schlimmer ist, was uns im Moment alle etwas erschlägt, ist die Spielsucht in der heutigen Smartphone Generation. Da sitzt du da und verzockst abertausende Euros am Tag mit deinem Smartphone – das ist der Anfang vom Ende.
11ER: Welche Verbindung hat deiner Meinung nach der Fußball zum Alkohol?
Uli Borowka: Alkohol ist in Deutschland ein Kulturgut und macht vor keiner Sportart halt. Es heißt auch oft, zumindest wird mir das oft gesagt, der oder die verdient doch so und so viele Millionen, der dürfte doch gar keine Probleme haben. Da entgegne ich immer: Das einzige Problem ist, dass er genau so ein Mensch ist wie alle anderen auch. Auch Profisportler sind in erster Linie Menschen. Der Umgang mit Alkohol ist insgesamt ein gesellschaftliches Problem.
11ER: Unser Magazin berichtet vornehmlich über die Bezirksligen und die Kreisklassen. Wie beurteilst du den Umgang mit Alkohol in den Amateurligen des Fußballs?
Uli Borowka: Da gibt es ja klare Aussagen. Egal ob das der Fußballverein, der Turnverein oder der Schützenverein ist – bei den Vereinen heißt es immer „Hoch die Tassen“! Wir sollten mal überlegen, ob wir Erwachsene nicht die Pflicht haben, der Jugend ein Vorbild zu sein. Früher bin ich gerne Sonntagmorgens zu Jugendspielen in Berlin gegangen, die kann ich mir heute nicht mehr anschauen. Wenn die Jugendlichen spielen, stehen 20 Eltern hintendran und davon haben zehn eine Pulle Bier in der Hand. Das ist absolut der falsche Weg! Ich möchte hier nicht einfach Sachen verbieten, aber ein maßvoller Umgang ist doch wichtig, weil alle jungen Sportler zu den älteren aufschauen. Wenn die Erwachsenen sich nach dem Training eine, zwei oder drei Kisten Bier einschütten, dann nehmen die Jugendlichen das mit. Dagegen habe ich etwas. Jugendliche sind mit zehn oder elf Jahren noch gar nicht in der Lage, diese Dinge richtig einzuordnen. Innerhalb von zwei, drei Monaten kannst du abhängig werden und dein ganzes Leben dadurch zerstören. Deswegen ist es mir wichtig, dass wir Erwachsenen Vorbilder sind und mit gutem Beispiel voran gehen.
11ER: Wie du eben schon gesagt hast, hast du jede Menge zu tun. Blieb da überhaupt Zeit für die WM?
Uli Borowka: Natürlich! Wir waren auf dem Schiff, der MS Europa 2 und haben dort während der Weltmeisterschaft Talkrunden gehabt. Meinen allerhöchsten Respekt, was dieses Team geleistet hat.
11ER: Was hat dieses Team so stark gemacht?
Uli Borowka: Vieles. Für mich war auch ausschlaggebend, dass ein Mustafi sich verletzt hat. Das hört sich zwar blöd an, aber dadurch musste Philipp Lahm wieder auf die rechte Verteidigerposition. Und wenn du so Leute wie Miro Klose auf der Bank hast, der unbedingt seinen Torrekord haben wollte oder einen starken Einwechselspieler wie Schürrle, wirst du noch stärker. All das ist zum Glück zusammengekommen und der Titel war absolut verdient.
11ER: Was sagst du zu den drei Rückritten? Bei Miro Klose kann man es aus Altersgründen nachvollziehen, aber Mertesacker und Lahm?
Uli Borowka: Ich sag es einfach mal so: die werden sich das reiflich überlegt haben. Immerhin sind sie alt genug und sie werden ihre Gründe haben. (lacht)
11ER: Am 10. September liest du im Trierer Exhaus. Was fällt dir denn spontan zu Trier und Fußball ein?
Uli Borowka: Mir ist da immer noch das eine oder andere Pokalspiel im Kopf, mit so einem Stürmer, so einem kleinen etwas untersetztem …
11ER: Rudi Thömmes!
Uli Borowka: Jawoll! Daran denke ich zu erst. Jetzt waren sie auch wieder in der ersten Runde, das verfolgt man schon. Damals, als sie Dortmund und Schalke aus dem Pokal geworfen haben, das war schon toll. Es wäre natürlich schön, wenn auch mal in Trier wieder etwas höherklassig gespielt werden könnte. Aber leider ereilt dieses Schicksal heute viele Traditionsvereine.
11ER: Worauf können wir uns bei deiner Lesung freuen?
Uli Borowka: Jeder der mich kennt, weiß, dass es keine sture Lesung sein wird. Es gibt eine Diskussionsrunde, ich versuche alle Fragen in jeglicher Richtung zu beantworten. Und in den letzten zwei Jahren war die Resonanz sehr gut, weil viele Menschen sehr sehr viele Fragen haben. Sei es zur Co-Abhängigkeit, oder woran erkenne ich, dass ich zu viel trinke. Also es wird sicherlich eine ebenso schöne Aktion, wie die ganzen anderen Lesungen, die ich bisher gehalten habe.
11ER: Abschließend noch eine Frage: Sieht man dich irgendwann mal wieder als Trainer, Funktionär oder in anderer Funktion auf dem Fußballplatz?
Uli Borowka: Nö. Ich weiß jetzt nicht, ob ich noch irgendwann mal Präsident von Werder Bremen werde. (lacht) Aber nee, das habe ich ad acta gelegt. Ich habe damals reingeschnuppert und hatte mich bei etwa 20 Vereinen auch als Jugend- oder Co-Trainer beworben, das alles wurde dankend abgelehnt. Man wollte sich keinen trockenen Alkoholiker, also einen Problemfall ins Boot holen. Das ist passé. Allerdings trainiere ich sehr gerne Kinder, weil ich denen erzählen kann, was ich für ein toller Techniker war. (lacht). Inzwischen kann ich auch den Ball öfter hochhalten.